Elisabeth Dauthendey - Weihnacht

Jetzt im Mondlicht lachte auch der Schneemann. Er sah ganz lebendig aus und schaute gerad' nach dem Fenster hin, hinter dem die Kinder schliefen. Da schlug es Mitternacht von der Dorfkirche. Langsam kamen die feinen Töne durch die Stille der Nacht hergeweht. Eins – zwei – drei – Da, als der zwölfte Schlag verklungen war, stieg plötzlich der Schneemann von dem Hügel herunter, auf den die Kinder ihn hingestellt hatten. Er humpelte sehr ungeschickt daher, denn er hatte nur ein paar Beinstumpen, für die Füße hatten die Kinder keine Zeit mehr gehabt. Jetzt lachte er über das ganze runde weiße Gesicht und sprach laut zu sich selbst. »Die armen Dinger da drin sollen auch eine Freude haben,« sagte er, und dabei bückte er sich und nahm mit seinen großen plumpen Händen von dem reinen Schnee, der wie Silber im Monde leuchtete, und formte viele kleine Bälle daraus. Von diesen nahm er dann einen und warf ihn gegen das Fenster, hinter dem die beiden Kinder schliefen. »Was war denn das?« sagte Heinz zu seiner Schwester und fuhr mit beiden Beinen aus dem Bett heraus. Da kam wieder ein Schneeball an das Fenster geflogen. »Oh, oh,« flüsterte ängstlich Liese, «ich fürchte mich!« Und sie steckte ihr Köpfchen tief unter die Decke. Aber Heinz war tapfer und ging an das Fenster und schaute in die helle Christnacht hinaus. Da stand der Schneemann und lachte ihn mit seinen schwarzen Augen an und sagte: »Mach' auf, ich will euch etwas Schönes sagen!« »Ach, du bist es,« sagte Heinz und öffnete das Fenster, »du bist lebendig geworden und kannst sprechen?« »Ja, ja,« antwortete der Schneemann, »in der Christnacht darf alles einmal leben, was sonst tot und stumm bleiben muß. Und diese kurzen Stunden meines Lebens will ich benutzen, euch eine Freude zu machen, denn ihr habt mich geschaffen, und dafür will ich euch danken, denn es ist so schön, zu leben.« »Aber komm doch herein,« sagte Heinz, »es ist ja kalt hier drinnen, aber draußen ist es doch noch viel kälter.«

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