Elisabeth Dauthendey - Weihnacht

Ein Weihnachtsmärchen Es war Christnacht. Die Luft war bitter kalt, und der Mond stand wie eine große silberne Lampe am Himmel und leuchtete auf die Erde herunter, die sich in ihren dicken, weichen weißen Winterpelz eingehüllt hatte. In dem kleinen Dorfe schliefen alle gesunden Leute fest und tief und freuten sich noch im Traum, daß der nächste Tag ein Feiertag war. Es war so still und feierlich ringsumher, wie es nur in der heiligen Christnacht ist, wo der Friedensengel zur Erde kommt und den Menschen neue Hoffnung und neue Liebe in die Herzen legt. Nur die armen kranken Leute schliefen nicht. Aber sie waren heute nicht so traurig wie zu andrer Zeit, denn es war der helle Schein der Christnacht um sie her, und das machte sie so ruhig und friedlich, daß sie ihre Schmerzen nicht mehr deutlich fühlten. – In einem der kleinsten Dorfhäuschen schliefen zwei Kinder und träumten von all den schönen Dingen und guten Sachen, die sie sich wünschten. Von warmen Kleidern und neuen starken Schuhen, von bunten Bällen und Tieren und Puppen. Sie konnten nur davon träumen, denn sie waren sehr arm, und dazu war die gute Mutter krank und konnte nicht auf Arbeit gehen und der Vater war tot. So hatten sie dieses Mal einen traurigen Weihnachtsabend gehabt. In der Ecke stand ein kleines, ganz kleines Christbäumchen, das eine gute Nachbarin ihnen gebracht hatte, aber sonst war das Zimmer leer und kalt. Aber im Traum bekamen sie alles, was sie sich je gewünscht hatten. Und so schliefen sie fest und waren glücklich. Nebenan im kleinen Stübchen lag die kranke Mutter. Sie hustete, und ihr Kopf und ihre Hände waren heiß, und sie konnte nicht schlafen. Aber obgleich sie sehr traurig war, daß sie ihren beiden Kindern kein fröhliches Fest hatte machen können, war es doch heute seltsam still und glücklich in ihrem Herzen; von draußen kam der helle Schein der Christnacht in das Zimmer herein, und sie hörte eine leise frohe Stimme, die sie sanft tröstete. »Siehe, es ist Christnacht,« sagte diese Stimme, »da geschehen große und gute Dinge auf Erden!« Draußen im kleinen Gärtchen vor dem Häuschen der armen Witwe leuchtete der Schnee wie lauteres Silber, und das ärmliche Häuschen wurde ordentlich schön in diesem Glanz. In einer Ecke des Gartens stand ein großer dicker Schneemann. Unförmlich war sein Kopf und seine ganze Gestalt, denn die beiden Kinder hatten ihn mit kalten blauen Händen aufgebaut, um doch ein wenig Vergnügen zu haben. Ein paar kleine schwarze Augen, die ihm die Kinder mit zwei alten Knöpfen eingebohrt hatten, lachten in seinem Gesicht, auf dem Kopfe saß ihm schief eine alte Kappe, und die Arme hingen ihm plump und schwer an den Seiten herunter. Er sah sehr komisch aus, und die beiden Kinder hatten fröhlich gelacht, als der Schneemann fertig war.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=