Elisabeth Dauthendey - Erotische Novellen

Man ließ Anja geflissentlich mit dem jungen Manne allein und merkte mit tiefem Behagen, daß auch dieser sich dem süßen Zauber dieser entzückenden Weiblichkeit nicht mehr entziehen konnte. Wir hofften alle. Wenn ich sie so nach den langen, geistvollen Gesprächen im Zimmer fand, leuchtend von innerem Feuer, mit glühendem Blut und schwellender Schönheit, von jenem blühenden Zauber umhüllt, der das Weib nach der leidenschaftlichen Liebesumarmung des Mannes zu umstrahlen pflegt – war ich sicher, daß auch ihr die Stunde endlich gekommen sei, da die heimlichen Forderungen des Weibtums sie mit gebieterischem Zwange leiten würden. Aber es vergingen Wochen um Wochen. Die stille Verzückung blieb über ihr ausgegossen, Stunde um Stunde blieb sie in tiefer Entrücktheit bei den Büchern und Gesprächen mit dem jungen Manne, der solcher schneekühlen Stille des Blutes gegenüber wohl noch immer nicht die gefahrvolle Minute gefunden, in welcher er vom Wege des Wissens abgleiten konnte, um mit einem kühnen Satz sie beide mitten in das Land der Leidenschaft hinüberzuschwingen. Eines Tages aber kam ihm der Augenblick, da sein eigenes Erglühen für so viel Liebreiz und hinreißende Süße alle Besinnung verlor. Er warf das Buch beiseite, stürzte zu Anja hin und stammelte ihr die Worte seiner heißen Verwirrung ins Ohr. Anja erblaßte bis in die Lippen, sah ihm verstört und entsetzt in die Augen und streckte ihre Hände ihm abwehrend entgegen. – Was tust du – was willst du von mir, Viktor? – Liebst du mich – oder nicht? fragte er in zorniger Erregung – was sonst macht dich so strahlend und aufblühend neben mir? – Es ist so wundervoll und macht mich so glücklich, mit dir in all die Herrlichkeit des Wissens zu schauen, du führst mich durch tausend Paradiese und läßt mich unermeßliche Schätze schauen. – – Das ist es – sagte er, und sein Gesicht verzerrte sich in der Qual überladener Leidenschaft – das ist es – die Bücher, das Wissen – und ich – ich bin dir nichts – – Doch, doch – ich bewundere dich – ich bin voll tiefster Dankbarkeit. – Da lachte er bitter auf und ging von ihr. Auch er konnte das vielsagende Wort jenes klassischen Liebespaares mit einer kleinen Variante auf das Ende seiner Liebesszene anwenden: von jenem Tage lasen wir nicht weiter. –

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