Elisabeth Dauthendey - Erotische Novellen

Das ferne Unbegreifliche war plötzlich ganz nahe in ihm selbst. Etwas brach da auf wie ein Strahl aus einem tiefen Brunnen, der ihm jäh und heiß durch das kühle, schlummernde Blut aufsprang und eine Scham und einen Ekel in ihm erweckte, dessen Ursprung und Verbundenheit mit ihm selbst ihm gänzlich unbegreifbar war, aber eine Kraft und ein Wollen auslöste, gegen die es keinen Widerstand gab. Das zarte, stille Kind stieß mit voller Wucht seinen Fuß gegen die Brust des Mannes, daß er es verblüfft und wütend aus seinen Armen zur Erde gleiten ließ. – – Bist du verrückt – , sagte er. – Aber das Kind hörte und sah nichts mehr. Auf zitternden Füßen flog es davon. Raste die Treppe hinab durch die Laubgänge, kroch atemlos und bebend unter die weiten, hangenden Blütenäste eines Baumes, lehnte sich an den moosigen Stamm und horchte auf die schweren Schläge seines kleinen verängsteten Herzens. Hatte es etwas Böses getan? Einen alten Mann getreten. Eine rote Scham flog ihm durch das zitternde Blut. Aber es war noch etwas anderes. Eine andere Scham, durch die es sich dunkel in eine Schuld verstrickt fühlte, ohne nur im geringsten zu begreifen, was es sei, ob es in ihm war oder von dem Manne kam. Ob er etwas Böses gewollt? Aber alte Leute waren doch nie böse, nur Kinder konnten es sein – . Und mit einem neuen Rätselhaften beladen, trug das Kind seine kleine vereinsamte Seele ein Stück weiter durch das große unbegreifliche Leben. Himmel und Erde In der süßen blühenden Maienzeit ihres Lebens, da alle sprossenden Knospen der Seele zur Sonne lechzen, alle brennenden Träume um ein seltsam Fernes und Seliges kreisen und alle weitwache Sehnsucht nach dem lockenden Ungreifbaren sich aufreckt, war sie Nonne geworden. Sie hatte die Insel der Seligen erreicht, nach der die Träume ihrer Nächte gegriffen hatten. Aus den Wirrnissen des Alltags kommend, zu denen sie nie eine rechte Stellung hatte finden können, war es nun wie eine Erlösung, der großen Stille, dem heiligen Schweigen gegenüberzustehen. In der geheimnisbeladenen Einsamkeit nur den einen Weg vor sich zu wissen, der zu den goldnen Altären des Gebetes und zu den schmerzlich seligen Höhen der Opferung führte.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=