Elisabeth Dauthendey - Erotische Novellen

– Ist das die Seejungfrau? – fragte sie, nur um von der Stille umher und den Augen des Mannes, die ihr angst machten, loszukommen. – Schon möglich – da unten im Wasser lebt allerlei sonderbares Volk, und wenn es herauskommt an das Licht, wird es zu Stein und kann nie mehr hinunter zu den andern. – Resa beugte sich suchend über den Rand des Brunnens. – Ah, die sieht man nur bei Nacht – , sagte der Mann und nahm die kleine Hand des Kindes und führte es zu den breiten Steinstufen, die zu den oberen Terrassen aufstiegen, und deren Rampen von unzähligen Steinfiguren besetzt und belebt waren. – Schau, wie viele da schon heraufgestiegen sind – ja, das sind neugierige Leute, und nun müssen sie immer da oben bleiben und möchten sicher wieder gerne unten sein, wo es blau und golden ist von Perlen und Edelsteinen. – Nun lag die kleine, nervös zuckende Hand in der des Mannes. Resa litt unter dem festen, kalten Griff, aber sie wagte nicht, sich loszumachen. Oben auf den Terrassen brütete die Sonne heiß und schwer. Der Mann setzte sich auf eine Bank und zog das Kind zu sich heran. Ernst und fragend waren die scheuen Augen des Kindes auf ihn gerichtet. Durch diese Augen blickte man in die seltsam geheimnisvolle Tiefe einer Seele, die voll Rätsel war. Aber den Mann fesselten diese Rätsel nicht. Er suchte die geheimen Reize dieses feinen, zärtlichen Körpers zu ergründen. Eine Freude wollte er über ihn hingehen sehen, ein Aufblühen, das ihm die verborgene Schönheit enthüllte. Und es gelang ihm. Er griff mitten in das Fernweh dieses unerschlossenen Wesens hinein. – Sieh den blauen Himmel – , sagte er. Wie hoch, wie blau ist er, ist er nicht wie blaues Glas, durch das man hindurchsehen kann? Und denke dir nun, daß unten das Meer weit und lachend daliegt, und es ist ebenso blau wie der Himmel oben, und die Wellen tanzen zum Ufer hin und singen leise. Am Ufer liegt eine große, reiche Stadt voll hoher Türme und Häuser mit goldnen Dächern, Leute in bunten Kleidern gehen spazieren am Meere entlang; welche fahren in herrlichen Karossen, und auf dem blauen Wasser schaukeln kleine weiße Schiffe, darinnen sitzen schöne Prinzessinnen und winden Kränze aus den bunten Blumen, die am Ufer blühen – Des Kindes Augen leuchteten.

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